Germaniawerft / Esso Bolivar
Handelsschiffbau auf der Germaniawerft zwischen 1920 und 1938
Die am Ostufer der südlichen Kieler Innenförde angesiedelte und seit 1902 zum Kruppkonzern gehörige Fried. Krupp Germaniawerft (ab dem 1. Juli 1903 dann Fried. Krupp, Aktiengesellschaft Germaniawerft, ab 1923 dann Fried. Krupp Germaniawerft AG Kiel) hatte bis zum Kriegsende 1918 im U-Bootsbau und im Dieselmotorenbau in Deutschland eine führende Stellung eingenommen. Durch die Ausrichtung auf den Marineschiffbau war die Werft nach Kriegsende besonders stark von den Bedingungen des Versailler Vertrages betroffen.
Zunächst wurde auf der Germaniawerft eine Serie von kleinen Motorseglern (Dreimasttoppsegelschoner, Zweimastgaffelschoner und Galeassen) für die Küstenschifffahrt entwickelt und gebaut. Bereits 1920 konnte die Werft mit dem Bau einer großen Viermastbark mit Hilfsmotor (Magdalene Vinnen) beginnen. Ergänzend hierzu lieferte die Germaniawerft weitere fünf große Fünfmast-Rahschoner mit Hilfsmotor an die Bremer Reederei F. A. Vinnen.
Neben neuen Segel- und Motoryachten baute die Germaniawerft bis 1923 lediglich zwei Motortankschiffe. Die nicht befriedigende Ertragslage der Germaniawerft veranlassten den Kruppkonzern über einen Verkauf der Werft nachzudenken. Trotz aller Schwierigkeiten hielt die Germaniawerft aber am Handelsschiffbau und am Reparaturgeschäft fest. Zwischen 1924 und 1934, die Germaniawerft lieferte in diesem Zeitraum mehr als 20 Motortanker und 24 Motoryachten ab, erreichte die Werft wieder eine führende Stellung im Marktsegment Motortanker und Luxusyachten. Die Fried. Krupp Germaniawerft AG Kiel mit den überdachten Hellingen hatte sich neben Blohm & Voss als eine moderne und leistungsfähige Werft etabliert.
Nach 1934 nahm der Kriegsschiffbau auch auf der Germaniawerft wieder eine primäre Rolle ein. Trotz dieser Mehrbelastung betrieb die Germaniawerft auch nach 1935 weiterhin Handelsschiffbau. Sie lieferte von 1935 bis 1939 Motortanker, Fracht- und Passagierschiffe ab, die mit Dieselmotoren aus eigener Produktion ausgerüstet waren.
Standard Oil
Am 1. April 1890 nahm die am 25. Februar 1890 in Bremen von der Standard Oil Company, Wilhelm Anton Riedemann und den Brüdern Schütte gegründeten Deutsch Amerikanische Petroleum Gesellschaft (DAPG), den Geschäftsbetrieb auf. Das Petroleumimportgeschäft der Firma Edmund Siemers wurde zusätzlich 1891 auch von der DAPG übernommen. 1904 übernahm die Standard Oil Company das gesamte Aktienkapital und den größten Teil der Genussscheine (Aktien ohne Stimmrecht).von der DAPG.
Nachdem auch der DAPG Firmensitz durch die Standard Oil Company nach Hamburg verlegt wurde gründete man als Reederei der DAPG am 12. Dezember 1908 die Hanseatische Petroleum Handelsgesellschaft mbH. 1911 verfügte die Reederei bereits über 23 Tankschiffe und hatte an deutsche Werften 21 Neubauaufträge erteilt.
Die Flotte der DAPG umfasste bei Kriegsausbruch am 1. August 1914 insgesamt 41 Tankdampfer und 3 Motortanker. Der Kriegsausbruch wirkte sich auf die Standard Oil Company sehr negativ aus. Da sie ihre Tankerflotte unter deutscher, DAPG Flagge betrieb standen ihr nur noch zwei eigene Schiffe (37 Einheiten waren auf die DAPG eingetragen) für den Transport von Rohöl zur Verfügung.
Nach Kriegsende wurde im September 1919 die Baltisch-Amerikanische-Petroleum-Import-Gesellschaft BAPIG mit Sitz in Danzig, eine Tochtergesellschaft der Standard Oil Company, gegründet. Die nach Kriegsende in Deutschland verbliebenen Schiffe und bestellten Neubauten der DAPG wurden in die BAPIG überführt.
Die unter der Flagge der freien Stadt Danzig fahrenden Schiffe der BAPIG wurden 1935 an die Panama Transport Company, Flagge Panama übertragen. Man befürchtete das sich Danzig zeitnah wieder mit dem Deutschen Reich vereinen könnte. Die Schiffe wurden aber weiterhin von der zwischenzeitlich 1928 gegründeten WARIED Tankschiff Rheederei GmbH bereedert und auch weiter von deutschen Besatzungen in Fahrt gehalten. Erst kurz vor Kriegsbeginn wurden die deutschen Besatzungen ausgetauscht.
Die nach 1919 aufgebauten Fertigungskapazitäten, eine geringe Nachfrage nach Schiffsneubauten, ein Verfall der Frachtraten am Weltmarkt und natürlich auch noch das Fehlen militärischer Aufträge wirkten sich negativ auf die Auslastung der Werften aus. Die ab 1924 aufziehende Schiffbaukrise, mit einer kurzen Erholungsphase zwischen 1927 und 1929, dauerte bis 1934 an. Die Regierung versuchte ab 1925 die andauernde Krise mit staatlichen Programmen (Schiffserneuerungsfond / Zinsverbilligungen / Abwrackprogramm) zu begegnen.
Auch die Germaniawerft war von der langanhaltenden Strukturkrise und dem daraus resultierenden Kapazitätsabbau betroffen. In dieser Strukturkrise trug die Standard Oil zwischen 1920 und 1934 mit der Vergabe von Neubau- und Reparaturaufträgen an deutsche Werften maßgeblich zur Beschäftigungssicherung bei. Weiterhin wurden die Neubauten grundsätzlich von der WARIED oder der BAPIG betrieben. Die Liste, der an die Standard Oil abgelieferten Neubauten führte in dieser Zeit die Germaniawerft an. Ab 1926 beschäftigte die Standard Oil mit ihren Tochtergesellschaften die weltweit größte Flotte von Motortankern.
Zwischen 1935 und 1939 lieferte die Germaniawerft noch zwei Motortanker an die Standard Oil ab.
M/T Esso Bolivar
Auf der Kieler Germaniawerft fertigte man zwischen den beiden Weltkriegen mehrere Serien von verschieden großen Motortankern für Tochtergesellschaften der Standard Oil. Die BOLIVAR erhielt die Baunummer 568 und war der letzte Tanker einer vier Schiffe umfassenden Serie von 15.000 tdw großen Motortankern. Der Stapellauf fand am 31. März 1937 statt und noch im gleichen Jahr wurde der Neubau auf den Namen ESSO BOLIVAR getauft und am 8. Juli 1937 an die Panama Transport Company abgeliefert.
Die weiteren Motortanker der vierer Serie waren:
1935 M/T W. B. Walker (Bau Nr. 534) Oriental Trade & Transport Co.
1936 M/T Narragansett (Bau Nr. 540) British-Mexican-Petroleum Ltd.
1937 M/T Henry Dundas (Bau Nr. 567) Oriental Trade & Transport Co.
Die Esso Bolivar wurde nach der Übergabe regelmäßig zwischen Aruba (Niederländische Antillen) und New York eingesetzt. Neben der Ladung konnten auch bis zu 12 Passagiere auf dieser Strecke befördert werden. Die Besatzung bestand ausschließlich aus deutschen Seeleuten.
Die deutsche Besatzung wurde am 14. August 1938 abgelöst und das Schiff an die Standard Oil übertragen. Im März 1942 wurde die Esso Bolivar auf der Rückreise von New Yorck durch einen Überwasserangriff des deutschen U-Bootes U 126 nahe Guantanamo durch Geschützfeuer schwer beschädigt. Es gelang der Besatzung den Tanker trotz aller Schäden in den Hafen von Guantanamo zu überführen. Nach erfolgter Reparatur in Mobile, Alabama konnte die Esso Bolivar ab Ende Juli 1942 wieder regelmäßig eingesetzt werden.
Zunächst chartert die Waried im Oktober 1951 die Esso Bolivar und der Tanker fährt wieder mit einer reinen deutschen Besatzung. Im April des Jahres 1952 kauft die Waried Tankschiffs Rhederei die Esso Bolivar von der Panama Transport Co. und lässt den Tanker von der Lloyd Werft in Bremerhaven generalüberholen. Während einer Gästefahrt auf der Weser wird am 14. August 1952 die Flagge der Waried Reederei gesetzt. Die Esso Bolivar ist der zweite Tanker, neben der Esso Baltic der nach Beendigung des 2. Weltkrieges wieder die Waried Flagge führt.
Die erste Reise unter den neuen Reedereifarben führte von Fawley/England nach Hamburg unter der Führung von Kapitän Curt Siemmgen. Anschließend wurde die Esso Bolivar im regelmäßigen Dienst auf der Strecke Mittelamerika / Hamburg für den Rohöltransport eingesetzt.
Da die Esso Bolivar nicht mehr rentabel betrieben werden konnte, wurde der Tanker 1958 aufgelegt.
Esso Bolivar, der letzte Akt
Im Oktober 1956 kommt es hinsichtlich der Nutzung des Suez-Kanals zu einer internationaler Krise (sog. Suez-Krise). Erst im März 1957 wird dieser Konflikt durch die UNO und den Einsatz einer UN-Friedenstruppe beigelegt. Während der Krise konnte der Suez-Kanal von den Tankern nicht mehr genutzt werden und erst im Mai 1957 wurde der Kanal für den Schiffsverkehr wieder freigegeben.
Die zu dieser Zeit übliche Größe eines Tankers um die 30.000 tdw. Durch die anhaltende Krise erfolgte der Öltransport nach Europa auf der Kap Route, was natürlich zu erhöhten Kosten bei den Reedereien führte. Um die durch die Suez-Krise anfallenden zusätzlichen Betriebskosten zu vermeiden, betrachtete man zwei Lösungsansätze:
1. Die Tankergröße
Eine Kostenanalyse zeigte auf, dass ein Tanker mit einer Größe von rund 63.000 tdw auf der Kap Route, im Vergleich zu zwei Tankern mit rund 30.000 tdw die den Suez-Kanal nutzen, das Rohöl kostengünstiger transportieren könnten. Bereits zum 1. Juli 1956 sind mehr als 70 neue Tanker (Größe > 40.000 tdw) bei verschiedenen Werften beauftragt. Von diesem neuen Trend profitierte im Wesentlichen die Werftindustrie Japans.
2. Der Schiffsantrieb
Weitere Kostenreduzierungen sah man zu damaliger Zeit im Schiff mit Nuklearantrieb. Sowohl in Schweden (Götaverken) wie auch in den USA plante man Tanker (Hans Isbrandtsen, 33.300 tdw) mit einem Kernreaktor auszurüsten.
In Deutschland gründete man zur Thematik Nuklearantrieb von Handelsschiffen bereits im Juli 1955 die Studiengesellschaft für Kernenergieverwertung in Schifffahrt und Industrie e.V. (KEST) und im April 1956 die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt mbH (GKSS), Geesthacht.
Die GKSS in Geesthacht arbeitete zunächst mit dem Reaktorbauer Interatom an einem noch zu entwickelnden Reaktor, der in seinen Dimensionen und Leistungsdaten an ein bereits vorhandenes, bisher konventionell angetriebenes Schiff angepasst wurde.
Als Erprobungsplattform wurde der 1937 bei der Germaniawerft in Kiel erbaute Motortanker Esso Bolivar ausgewählt. Die ETR hatte das Schiff bereits im März 1958 aus wirtschaftlichen aufgelegt.
Die Pläne zur Entwicklung eines neuen Reaktors für den Einbau in die Esso Bolivar konnten nicht erfolgreich umgesetzt werden. Die GKSS entschied sich im Oktober 1961 für den Bau eines neuen Schiffes. Die Ausschreibung für das erste deutsche nuklear angetriebene Schiff ging an elf deutsche Werften. Am 28. November 1961 erging an die Kieler Howaldtswerke der Auftrag, für 19 Mio. DM einen Erzfrachter zu bauen. Am 13. Juni 1964 lief in Kiel das erste und einzige Kernenergieschiff der Bundesrepublik Deutschland, die Otto Hahn vom Stapel.
Nach dieser Entscheidung, der schon mehr als 20 Jahre alte Motortanker Esso Bolivar wäre fast noch einmal reaktiviert worden, wurde dieser Veteran der Esso Tankschiff Reederei dann 1960 endgültig zum Abwracken verkauft.
Hinweis:
Am 1. März 1963 übergab die Firma Fried. Krupp der Staatlichen Ingenieurschule Kiel ein von der Firma Stührmann in Hamburg gebautes Modell des Motortankers Esso Bolivar. Dieses Modell wurde mehrere Jahre im Kieler Schifffahrtsmuseum ausgestellt. Seit dem Museumsumbau befindet sich das Schiffsmodell im Depot des Kieler Stadtmuseums.
Technische Daten M/T ESSO BOLIVAR*:
Länge über Alles: 154,4m
Breite auf Spanten: 21,3m
Seitenhöhe bis Hauptdeck: 11,2m
Tiefgang: 9,14m
Tragfähigkeit: 15.256tdw
Vermessung: 10.728BRT / 6037NRT
Antrieb: 1 Schraube, einf. wirkender 2-Takt Krupp Dieselmotor, Leistung 4340 PS
Geschwindigkeit: 11,5kn
Besatzung: 42 Besatzungsmitglieder
Ladegeschirr: 2 Bäume a 5t, 6 Bäume a 3t, 5 Ladewinden
* = Quelle „Die Deutsche Handelsflotte 1956“
Literaturverzeichnis
Brennecke, J. (1980, 2. erweiterte Auflage). Tanker. Herford: Koehlers Verlagsgesellschaft mbH.
Detlefsen, G. U. (1997). Deutsche Reedereien Band 6. Bad Segeberg / Cuxhaven: Gert Uwe Detlefsen.
Kaarrenbrock B., U. T. (1990). 100 Jahre ESSO. ESSO A. G.
Ostersehlte, C. u. (2014). Schiffbau in Kiel. Husum: Husum Druck- und Verlagsgesellschaft mbH u. Co. KG.
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