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Version vom 3. Juli 2023, 11:18 Uhr
Lieselotte Knolle
(Dr. med.) Lieselotte Knolle (geborene Siemann; verwitwete Siemsen) kam am 27. Mai 1912 in Bremen, Deutschland zur Welt, wo sie am 11. Oktober 1988 auch starb. Von 1943 bis 1956 war Lieselotte Knolle mit dem SS-General und Buchhändler Friedrich Ludwig Knolle (geb. am 12. Mai 1903 in Amsterdam, Niederlande; gestorben am 27. November 1977 in Neustadt an der Weinstraße, Deutschland) verheiratet, welcher einer der Hauptakteure der Kieler Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 und bekennender Nationalsozialist war.[2]
Ausbildung
Lieselotte Siemann besuchte in Bremen die Vorschule, ging dort sechs Jahre auf ein Lyzeum und wechselte dann für die restlichen drei Jahre auf ein Obergymnasium, an dem sie 1932 ihr Abitur ablegte. Sie nahm ihr Medizinstudium im Wintersemester 1932/33 an der Universität Bonn auf mit dem Wunsch, Kinderärztin zu werden. Nach erfolgreich bestandenem Vorphysikum wechselte sie für zwei Semester nach Freiburg i. Br., kehrte dann aber zum Physikum 1934 nach Bonn zurück. Nach einem zweisemestrigen Aufenthalt in München zog Lieselotte Siemann für das restliche Studium nach Kiel und bestand im 11. Semester im November 1937 ihr Staatsexamen mit der Note “sehr gut”. Parallel zum Studium war Lieselotte Siemann sowohl für drei Monate in der Krankenpflege tätig und famulierte in verschiedenen Kliniken. Nach dem Staatsexamen arbeitete Siemann während ihres praktischen Jahres zunächst in der Kinderklinik Bremen auf der Säuglings- und Infektionsabteilung sowie in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Kiel. Ende Dezember 1938 approbierte sie in Kiel.
Familie
Lieselotte Siemann war die Tochter von Dr. ing. Richard Siemann und Luise Siemann. Ihre Familie war aktiv innerhalb des NS-Regimes: Lieselotte Knolles Vater Dr. ing. Richard Siemann war als Beamter (Lehrer) tätig sowie Parteimitglied (“Pg” = Parteigenosse) der NSDAP (Nationalsitische Deutsche Arbeiterpartei). Ihre Mutter Luise Siemann war Mitglied in der NS-Frauenschaft und ihre Schwester (Name unbekannt) im BDM (Bund Deutscher Mädel).[3] Lieselotte Siemann heiratete am 5. Januar 1939 Dr. phil. Rudolf Siemsen in Berlin.[4] Siemsen war "Angehöriger der SS”[5] und “ehrenamtlicher Mitarbeiter im SD”.[6] Am 1. März 1939 kam ihre gemeinsame Tochter Elke Siemsen zur Welt und die Familie zog 1939 nach Potsdam-Rehbrücke um. Rudolf Siemsen fiel am 29. Mai 1940 im Zweiten Weltkrieg in Belgien, wodurch Lieselotte Siemsen zur Witwe wurde.[7] Am 03. September 1943 heiratete Lieselotte Siemsen in zweiter Ehe den SS-General und deutschen Buchhändler Friedrich Ludwig Knolle in Amsterdam. Friedrich Knolle - der teilweise unter dem Namen Friedrich Götten gelebt haben soll - [8] war einer der Hauptakteure, die für die Durchführung der Kieler Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 verantwortlich waren.[9] Friedrich Knolle war laut eigener Aussage “aus innerer Überzeugung” Parteimitglied der NSDAP.[10] Er wurde als “besonderer Vertrauensmann Himmlers” beschrieben [Quelle: Verfügung LKA Brandenburg vom 28.9.1948, S. 2. Mit Friedrich Knolle soll Lieselotte Knolle noch ein weiteres Kind bekommen haben [Quelle: Verfügung LKA Brandenburg vom 28.9.1948, S. 4]. Die Ehe von Lieselotte Knolle und Friedrich Knolle wurde am 11. Januar 1956 geschieden.
Wirken innerhalb des NS-Regimes
Während ihres Studiums in Bonn trat Lieselotte Siemann im November 1933 der ANSt (Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen) – dem Pendant zur NSDStB (Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund) – sowie 1936 in Kiel dem BDM bei, in welchem sie “[...] im Unfalldienst und […] als Hilfsärztin tätig[...]”[11] war. Beide Beteiligungen gab sie im Dezember 1938 auf. Im Mai 1937 stellte sie außerdem einen erfolgreichen Antrag zur Aufnahme in die NSDAP.[12] Nach ihrem Abschluss an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zog sie nach Potsdam, wo sie heiratetete und zunächst beim Reichsgesundheitsamt in Berlin und später als Praxisvertretung in Hinterpommern (Angermünde und Arnswalde) tätig war. Nach der Geburt ihrer Tochter und dem Einzug ihres Ehemanns in die Waffen-SS zog sie, um der Tätigkeit als Hausfrau nachzugehen, zurück in die gemeinsame Potsdamer Wohnung. Der Tod Siemsen im Mai 1940 in Belgien zwang sie abermals berufstätig zu werden. Von Oktober 1940 bis Sommer 1943 war sie daraufhin als Hilfsreferentin bzw. Hilfssachbearbeiterin im SD des RSHA (Referat 3, B3 (Rasse- und Volksgesundheit) angestellt. Seit 1941 gehörte sie außerdem der Frauenschaft der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) an.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Aufgrund ihrer Tätigkeit als Hilfsreferent am RSHA wurden im Jahr 1965 Vorermittlungen gegen Lieselotte Knolle durchgeführt. Dies geschah im Rahmen von Ermittlungen gegen ehemalige Angehörige des RSHA wegen Mordes. Lieselotte Knolle wurde diesbezüglich am 13.04.1965 vom Landeskriminalamt Bremen vernommen. Am 05.05.1965 antwortete der Polizeipräsident Berlins, dass „zur Zeit kein weiteres Verfahren“[13] eingeleitet werde. Auch zu einem späteren Zeitpunkt wurden die Ermittlungen gegen Lieselotte nicht wieder aufgegriffen. Zwei Jahre später - am 07.08.1967 - erfolgte eine zeugenschaftliche Vernehmung Lieselotte Knolles wegen ihres „Lebenslaufs und [...] beruflichen Werdeganges“.[14] Diese Einordnungen beziehen sich auf Lieselottes zweifache Ehe mit SS-Angehörigen sowie ihre Tätigkeit am RSHA. Bei der Vernehmung ergänzte sie ihre Aussagen aus der Vorermittlung von 1965. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges arbeitete Lieselotte Knolle als Schulärztin in Bremen. In welchem Zeitraum sie dieser Tätigkeit nachging, ist nicht bekannt.
Einordnung
Im Folgenden wird nun Lieselotte Knolle in den historischen Kontext eingeordnet und sowohl ihre Haltung als auch ihr Agieren im NS-Regime kritisch hinterfragt. Grundsätzlich muss beachtet werden, dass die biografischen Aussagen v.a. aus zwei handschriftlichen Lebensläufen von Lieselotte Knolle stammen. Hierbei handelt es sich also um die reine Selbstauskunft, einzelne Aussagen wie beispielsweise die Mitgliedsnummer in der NSDAP lassen sich aber belegen. Die Lebensläufe waren beide Teil des sog. Rasse und Siedlungsbogens, ein Fragebogen, der bei einer geplanten Ehe mit einem Angehörigen der SS ausgefüllt werden musste. Inhalt war hierbei nicht nur der biografische Lebenslauf, sondern auch Ergebnisse von körperlichen Untersuchungen in Hinblick auf die Zeugungs- und Empfängnisfähigkeit der Frau und einen Ahnennachweis. Hierbei musste nachgewiesen werden, dass keinerlei jüdische Vorfahren innerhalb der Familie der letzten fünf Generationen der Großeltern waren. Abgesehen vom rein logistischen Aufwand, mindestens über 180 Dokumente für den Ahnennachweis zu organisieren, lässt sich aufgrund dieses Verwaltungsaktes für das Paar auf eine, zumindest nicht abgeneigte, Haltung bezüglich des NS-Regimes schließen (allein schon durch die berufliche Tätigkeit des Mannes). Auch in der Forschung wird betont, dass der Verwaltungsakt nicht abschreckte, sondern eher als Ansporn gesehen wurde, in diesen besonderen Kreis aufgenommen zu werden (Vgl. Schwarz S. 45). Auch Lieselotte Knolles Haltung bezüglich der NSDAP und dem Regime lässt sich, obwohl sie sich später davon deutlich distanziert und jegliche Mitgliedschaft abstreitet, offensichtlich nachweisen. So war sie nicht nur zweimal mit einem SS-Mann verheiratet, sondern laut Aussage des ersten Fragebogens „zumindest seit 1933 Verteidiger der nationalsozialistischen Weltanschauung“ (R 9361-III-193863-2, S. 6). Zusätzlich war Lieselotte Knolle Mitglied in der NSDAP, zunächst 1937 Anwärterin, 1943 schon Mitglied. Ebenfalls war sie in anderen nationalsozialistischen Gruppen Mitglied. Vor allem die Mitgliedschaft im BDM sticht hierbei hervor: Sie war selbst 24 Jahre alt, als sie Mitglied der BDM wurde und somit für die eigentliche Mitgliedschaft als Jugendliche schon zu alt. Eine Erklärungsmöglichkeit hierfür wäre, dass sie eine Gruppenleitung oder eine andere leitende Rolle eingenommen hat. Auch das spricht zumindest für eine Zustimmung zum Nationalsozialismus. Zudem trat sie schon 1933 dem ANSt, dem weiblichen Pendant zum NSDStB, bei. Der NSDStB weist bereits seit seiner Gründung 1926 eine sehr enge Verbindung zur Partei auf (Vgl. Grüttner, S. 181). Ebenfalls war sie Mitglied in der NVS, der Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Dieser Verein wurde bereits 1933 zur Parteiorganisation erhoben und war somit Teil der NSDAP (vgl. Hadwiger S. 54). Ihre genaue Rolle im Verein lässt sich nicht mehr nachvollziehen, aber die alleinige Mitgliedschaften in so vielen Strukturen, die zum NS-Regime gehörten, steht im großen Widerspruch zu ihrer eigenen Aussage, kein Parteimitglied gewesen zu sein (Vgl. LArch B Rep 057-01 Nr 1820, S. 13f.). Besonders kritisch in diesem Hinblick muss ihre Tätigkeit beim Reichssicherheitshauptamt, kurz RSHA, betrachtet werden. Sie war tätig im Referat III (Deutsche Lebensgebiete SD-Inland) in der Gruppe B (Volkstum), spezifisch bei B3 (Rasse- und Volksgesundheit). Das RSHA wurde 1939 gegründet und fasste „sowohl die SS- als auch die Parteiorganisation SD mit dem staatlichen Hauptamt Sicherheitspolizei zusammen“ (Wildt, S. 283). Somit war Lieselotte Knolle also nicht nur mit zu dem Zeitpunkt ihrer Tätigkeit einem SS-Mann verwitwet, sondern indirekt selbst tätig für den SD bzw. die SS. Laut eigenen Aussagen war sie tätig als Hilfssachbearbeiterin von Oktober 1940 bis Sommer 1943 (Aussage beim Stadt- und Polizeiamt Bremen). Laut der Forschung waren 11,2 % der SS-Helferinnen tätig im RSHA. Sie selbst sagt später aus, dass ihr während ihrer Tätigkeit „in dem Referat III B3 […] nichts davon bekannt geworden [sei], daß etwa Ende 1942/Anfang 1943 tausende von Polen […] im Rahmen von Umsiedelung nach Ausschwitz-Birkenau transportiert und dort der Vernichtung zugeführt wurden“ (LArch B Rep 057-01 Nr 1820, S. 23). Zwar lässt sich diese Aussage nicht direkt widerlegen, aufgrund der zeitgeschichtlichen Einordnung des RSHA lässt sich aber doch zumindest die Mitwissenschaft anzweifeln. So beschreibt Reinhard Heydrich selbst das Referat III B3 als „besonders wichtige Gruppe“ (Wildt S. 381) und Wilhelm Höttl, Mitarbeiter im RSHA und späterer alliierter Geheimspion, die Gruppe III B3 als verantwortlich für „die radikale Einstellung in Deutschland gegenüber nationaler Minderheiten, wie Tschechien und Polen“ (Wildt S. 381). Da aber bereits 1942 bei der Wannsee-Konferenz der Holocaust beschlossen wurde und auch zügig umgesetzt wurde, sind die Aussagen Knolles eher unwahrscheinlich, v.a. im Hinblick auf ihren Tätigkeitsbereich.
Literatur
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Weblinks
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Einzelnachweise
- ↑ LArch B Rep 057-01 Nr 1820
- ↑ StAB 4 66-I. 5667
- ↑ R 9361-III-193863
- ↑ LArch B Rep 057-01 Nr 1820
- ↑ LArch B Rep 057-01 Nr 1820
- ↑ LArch B Rep 057-01 Nr 1820
- ↑ LArch B Rep 057-01 Nr 1820
- ↑ StAB 4_66-I. 5667
- ↑ Vgl. Göllnitz, Martin: Der Student als Führer? Handlungsmöglichkeiten eines jungakademischen Funktionärskorps am Beispiel der Universität Kiel (1927-1945). Ostfildern 2018, S. 153.
- ↑ StAB 4_66-I. 5667
- ↑ R 9361-III-193863
- ↑ R 9361-III-193863, LArch B Rep 057-01 Nr 1820
- ↑ LArch B Rep 057-01 Nr 1820
- ↑ LArch B Rep 057-01 Nr 1820